Die 6-jährige Kamilla verlor schon als junge Hündin in der Ukraine ihr Zuhause und landete für viele Jahre im Zwinger.
Keine Aussicht auf eine Adoption.
Dann musste sie den Krieg und die Angriffe auf Kiew miterleben.
Sie gehörte zu den Hunden, die wir im März 2022 unter schwierigsten Bedingungen evakuieren mussten.
Einige Vororte im Norden Kiews wie Irpin, Gostomel und Butscha waren bereits unter russischer Gewalt und von der Versorgung abgeschnitten.
Es war kein Kontakt mehr zu Tierschützern und Freunden mehr möglich und neben vielen menschlichen Opfern sollten auch mehrere unserer Hunde diese Zeit nicht überleben.
Auch Kiew drohte unter Besatzung zu geraten. Täglich gab es Angriffe und die Hunde im Pensionszwinger waren in ständiger Panik.
Während des Lärms von Sirenen und einschlagenden Bomben versuchten sie sich Löcher in den Betonböden der Zwinger zu graben oder die Gitter zu zerbeissen und zu flüchten. Manche Tiere drückten
sich nur noch in eine Ecke, verweigerten das Futter oder erbrachen es vor Angst.
Es dauerte zwei Wochen, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, bis wir zwei Autos, Benzin, Käfige und Fahrer finden konnten, die den ungewissen Weg bis zur Grenze auf sich nahmen.
Der Transport dauerte drei Tage bis die Hunde sicher in unserem Partnertierheim in Polen ankamen.
In Polen herrschte das reinste Chaos, aber es war für die Tiere, die zwar alle geimpft waren, aber keine Tollwuttiterbescheinigung hatten, die einzige Möglichkeit später legal weiter nach
Deutschland zu reisen.
Damals wurden wir von Adoptionsanfragen förmlich überrollt, aber uns war schnell klar, dass die meisten aus einem spontanen Gefühl heraus gestellt wurden, helfen zu wollen Was schön und
verständlich ist, aber alleine nicht ausreicht für ein ganzes Hundeleben.
So blieben nicht viele Interessenten übrig für die teilweise traumatisierten Tiere und leider auch niemand für Kamilla.
Aus den geplanten drei Monaten Wartezeit im polnischen Tierheim wurden neun Monate, bis wir sie in der Hoffnung ihre Adoptionschance zu erhöhen, nach Deutschland in die Hundepension holten.
Kurz vor Weihnachten war es soweit. Kamilla und weitere Hunde durften vom Tierheim in Polen nach Deutschland kommen.
Wir wussten nicht viel von ihr, aber ganz schnell haben wir sie lieb gewonnen.
Kamilla war von Anfang an sehr menschenbezogen und zutraulich. Sie genoss jede Aufmerksamkeit und Streicheleinheit und freute sich immer ganz besonders, wenn jemand aus unserem Team zu Besuch kam
und sie zu einem Spaziergang abholte.
Trotzdem hat es ein halbes Jahr gedauert, bis die erste wirklich hoffnungsvolle Anfrage kam.
Die normalen Untersuchungen wie Mittelmeerkrankheitencheck waren schon lange erledigt. Aber im letzten Monat war uns bei den Besuchen in der Pension aufgefallen, dass Kamilla verändert war. Sie
war ruhiger, wollte weniger mit den anderen Hunden in den Auslauf und schien irgendwie bedrückt. Da sie sehr die Nähe zu Menschen suchte, dachten wir, sie vermisst ein Zuhause. Aber um
auszuschließen, dass sie Schmerzen hatte, wurde sie nochmal dem Tierarzt vorgestellt, der Rückenschmerzen vermutete.
Beim Röntgentermin war nichts Gravierendes zu erkennen und sie war auch wieder agiler.
Doch dann schonte sie kurz vor ihrem wichtigen Kennenlerntermin einen Hinterlauf.
Wir vereinbarten erneut einen Termin in der Klinik. Keiner hatte eine schlimme Diagnose erwartet, denn Kamilla war grundsätzlich fit und wir so glücklich, dass sie bald den Zwinger für immer
verlassen und in ihr Zuhause ziehen würde.
Dann der Schock.... Ihre Hüfte wurde geröngt und zeigte eine sehr starke Dysplasie und Arthrose.
So schlimm, dass der Tierarzt von einer Hüftprothese als vermutlich beste Option sprach.
Wir waren wie erschlagen. Wie sollte das gehen? Abgesehen von der unfassbaren fünfstelligen Summe für die Kosten der beiden Operationen ist auch die wochenlange intensive Nachsorge nach dem
Eingriff in einer Hundepension definitiv nicht machbar.
Kamillas Interessentin hatte erst ihre Seniorhündin verloren und zuvor mit all ihren Altersbeschwerden liebevoll umsorgt.
Sie hatte sich auf lange und unbeschwerte Spaziergänge mit Kamilla gefreut und die Nachricht traf sie hart und unvorbereitet.
Niemand, der Kamilla in den vergangenen Monaten erlebte, hatte ihre Beschwerden und Schmerzen erahnt.
Wie sehr hat die tapfere Hündin alles überspielt...
Die folgenden Tage und Wochen verbrachten wir mit Recherchen, Telefonaten und weiteren Terminen.
Zu einem wichtigen Termin bei einem Spezialisten kam Kamillas Interessentin wieder mehrere Hundert Kilometer gefahren um dabei zu sein. Diagnose und Empfehlung waren wieder die gleichen.
Mindestens eine extrem teure Hüftprothese. Ein großer Eingriff mit wochenlanger Nachsorge, in der sich der Hund kaum bewegen darf.
Der Spezialist empfahl uns vorher alle konservativen Möglichkeiten auszuschöpfen und alles tun, was ihre Beschwerden lindern und sie gegebenfalls für die Operation vorbereiten würde. Regelmäßige
Bewegung, Muskelaufbau, Schmerzmittel nach Bedarf und genaues Beobachten. Aber auch ein sicheres, entspanntes Umfeld und Bezugspersonen, denen Kamilla vertraut, seien eine wichtige Basis für die
Behandlung.
Nach diesem Termin ist Kamilla nicht wie geplant in die Hundepension zurückgekehrt.
Sie hat die Nacht mit ihrem neuen Frauchen im Hotel verbracht und am nächsten Tag sind beide zusammen nach Hause gefahren.
Kamilla ist adoptiert worden, trotz allem, was auf sie zukommen wird.
Weil ein besonderer Mensch ihr an einem sonnigen Tag im Eiscafe ein Versprechen gegeben hat.
Kamilla heißt jetzt Milla und es ist kaum zu glauben, dass sie gerade mal zwei Wochen bei mir ist. Wie sie sich in den paar Tagen an die neuen Bedingungen angepasst, was sie alles schon gelernt hat ist... Wahnsinn! Sie hat z.B. nach zwei Tagen verstanden, dass ich sie, wenn wir spazieren gehen, erst in den Garten schicke, dann die Türe zumache, selber durchs Haus nach draußen gehe und sie am Gartentörchen abhole (damit sie nicht die Außentreppe nehmen muss). Beim ersten Mal war sie noch ganz panisch, als die Tür zuging, und starrte verstört ins Innere, jetzt regt sie sich überhaupt nicht mehr auf sondern geht gleich ans Törchen und wartet da auf mich.
Heute war ich absichtlich ganz lange im Keller (von wegen alleine bleiben üben), sie schlief ungerührt weiter. Dann hab ich zweimal das Haus durch die Eingangstür verlassen und bin einen Moment draußen geblieben - beim ersten Mal hob sie kurz den Kopf und döste weiter, beim zweiten Mal stand sie auf und kam ein paar Schritte auf mich zu, ging aber wieder zurück als ich ihr sagte, es wäre alles in Ordnung. Ich kann es fast nicht glauben!
Es ist ein bisschen, als ob sie ihre Batterien mit Streicheleinheiten aufgefüllt hätte (sie kommt immer noch oft, um sich streicheln zu lassen, aber nicht mehr so exzessiv wie am
Anfang) und jetzt viel unabhängiger sein kann.
Sie hat jetzt ihr Hauptquartier im Wintergarten eingerichtet, da fühlt sie sich sichtlich am Wohlsten, nicht ganz drinnen und nicht ganz draußen. Sie liegt auch sehr gern im Garten und
beobachtet alles, aber lange nicht mehr so aufgeregt wie in den ersten Tagen.
Milla war um 8.00h noch wohlig eingekuschelt und bewegte sich erst, als ich den Wassernapf auffüllte.
Dann machte sie ihre Kontrollrunde durch den Garten, kam sehr zufrieden zurück, offenbar keine Ärgernisse, verputzte ihr Frühstück und wollte es sich gerade wieder im Wintergarten
bequem machen, als ich den Nachbarskater sah.
Früher als Milla, aber trotzdem zu spät. So schnell kriege ich die schwere Schiebetür nicht zu....
Sie schoß an mir vorbei durch die offene Wintergartentür und war schon am anderen Ende, ehe ich überhaupt den Mund aufmachen konnte, und war dann natürlich völlig im Tunnel und reagierte erstmal
nicht mehr.
Der Kater hat sich wahrscheinlich über einen Baum in Sicherheit gebracht, Milla kam eigentlich erstaunlich schnell wieder zurück - und ich sah sofort, dass sie das rechte Auge
zukniff. Entweder der Kater hat ihr eine geschallert oder sie hat einen Ast ins Auge bekommen.
Sie ließ mich auch nicht gucken, drängelte sich nur ganz eng an mich. Danach über 2 Stunden versucht, diverse Tierärzte in der Umgebung und eine Tierklinik, die mir sehr empfohlen
worden war, anzurufen - alle noch in Urlaub, heute ausnahmsweise nicht da, der auf Augen spezialisierte Kollege erst morgen wieder da, sowieso überall endlos in
der Warteschleife. Ich hätte schreien können. Schließlich rief mich eine Tierärztin zurück, ich sollte erstmal Augentropfen geben.
Danach wurde es erst etwas besser, später nachmittags aber wieder schlimmer. Sie kniff das Auge ständig ganz fest zusammen hatte ganz offensichtlich Schmerzen oder fühlte
sich zumindest nicht gut, war aber auf dem Spaziergang wieder ganz lebendig.
Gegen 21.00h kam dann tatsächlich die Tierärztin auf dem Nachhauseweg vorbei und gab Entwarnung - sie ist sicher, dass der Augapfel nicht verletzt ist und ich nicht zu einem Spezialisten
muss. Ich bin sowas von erleichtert!
Milla kriegt morgen andere Augentropfen mit stärkerem Entzündungshemmer- und Antibiotikaanteil, danach sollte es eigentlich besser werden.
In dieser Situation mag sie jetzt gar nicht im Wintergarten bleiben, sie klebt wieder an mir und schläft im Wohnzimmer...
Wir haben in der letzten Woche das Laufpensum allmählich gesteigert und die Strecke öfters durch neue kleine Abschnitte erweitert, damit sie immer ein bisschen was zu entdecken hat.
Sie ist jedes Mal total aus dem Häuschen, hüpft mir zu Hause schon bis unter die Nase und ist dann mit einer Begeisterung bei der Sache, die mich einfach rührt.
Und bei all dieser Begeisterung ist sie (außer wenn interessante Rüden oder KATZEN im Spiel sind, dann hört sie nichts mehr) ziemlich gut zu lenken, reagiert meistens toll, wenn ich sie
kurz rufe, damit sie nicht in einen Vorgarten läuft, geht ohne zu diskutieren mit, wenn ich in eine andere Richtung möchte als sie.
Das ist fast zu gut, um wahr zu sein.
Sie läuft schön geschmeidig, eigentlich trabt sie oft eher wie ein Pferd. Manchmal piaffiert sie auch vor Aufregung, bevor es Futter gibt :). Ich lasse sie jetzt jeden zweiten Tag die
Außentreppe benutzen (9 Stufen), überhaupt kein Problem, sie sprintet da hoch und runter dass ich nicht hinterher komme. Überhaupt hat sie jetzt ein ganz anderes Lauftempo, wir schaffen in
der gleichen Zeit eine viel längere Strecke.
Habe mit Milla ein Marker-Wort geübt, aber noch nicht eingesetzt, und heute zum ersten Mal ein bisschen ernsthafter Training mit ihr gemacht, mit Leckerchen und Wiederholung und so. Sie stellt sich sehr gelehrig an und es macht ihr sichtlich Spaß.
Mir auch, wenn ich sehe, wie motiviert sie ist.
Letzten Mittwoch war Milla total gut drauf, fröhlich und wahnsinnig kooperativ.
Sie tänzelte beim Spaziergang wieder pferdemäßig neben mir her, sah mich bei jeder Wegbiegung an und fragte höflich, in welche Richtung ich denn wollte. Sie lief wunderbar
mit, reagierte toll auf alles, was ich von ihr wollte, ich war wieder richtig stolz auf sie. Danach döste sie den ganzen Nachmittag faul im Garten, hatte meistens alle Bäume
scharf im Blick, war aber dabei völlig entspannt und bewegte sich nur von einem Liegeplatz zum nächsten. Angesichts von so viel Gemütlichkeit verzog ich mich beruhigt für 10
Minuten ins Wohnzimmer, um eben die 7-Uhr-Nachrichten zu sehen. Ich kann von dort aus einen Teil des Gartens sehen und hätte bei offener Tür auch hören müssen, wenn es irgendeine
Verfolgungsjagd gegeben hätte.
Dann hörte ich ein komisches Geräusch und dachte zuerst, dass irgendein Vogel besonders laut tschilpt, ging aber vorsichtshalber nachsehen. Milla saß im Wintergarten, fiepte, jaulte,
wimmerte herzzerreißend und hielt mir ihre linke Vorderpfote hin, die schlaff runterhing. Ich dachte, wenn die so hängt ist sie gebrochen, und das allerletzte, das wir jetzt brauchen können,
ist ein Problem mit den Vorderbeinen - und wäre am liebsten in Ohnmacht gefallen.
Da sich erfahrungsgemäß dadurch Probleme nicht in Luft auflösen, habe ich nach der Schrecksekunde die Pfote vorsichtig untersucht. Kein Blut, kein Dorn oder irgendwas, das sie sich
hätte eintreten können, also Tierarzt, sofort.
Glücklicherweise hatte ich das Ruffwear-Geschirr schon griffbereit liegen, und das lässt sich auch im Liegen ganz gut anlegen. Damit hab ich sie irgendwie bis zum Auto bugsiert.
Die junge Tierärztin, die Nachtdienst hatte, war wahnsinnig nett und einfühlsam mit Milla, untersuchte sie gründlich, ließ uns Probelaufen (mittlerweile konnte Milla wieder
auftreten) - und gab dann Entwarnung.
Nichts gebrochen, wahrscheinlich nur verstaucht. Röntgen nicht erforderlich. Schmerzmittel + Entzündungshemmer + 1 Woche Körbchenruhe.
Ich hätte schon wieder in Ohnmacht fallen können, vor Erleichterung.
Kurz nach 22.00h waren wir wieder zu Hause, es war stockdunkel, ich versuchte, Ruffwear mit Milla drin in der einen und Taschenlampe in der anderen Hand, am Haus vorbei in den Garten zu
kommen - und in dem Moment, in dem das Gartentörchen aufging, riss sich mein schwer verletzter Hund los und raste wie von Sinnen (auf sämtlichen 4 Beinen!) los, weil sie irgendwo hinten im Garten
wohl was gehört hatte!!!! ️ ️
Ich konnte mich gerade noch sozusagen auf die lange Leine werfen und entging knapp einer dritten Ohnmacht. Da ich sie auf keinen Fall auch nur kurz allein im dunklen Garten mit irgendeinem
unbekannten Monster lassen konnte (die strikte Anweisung hieß: nicht laufen, nicht springen, nicht spielen!!), ging es den ganzen Weg wieder zurück und mit viel Kraftaufwand die Vordertreppe
hoch. Sie bekam noch ein spätes Abendessen und verkroch sich dann widerspruchslos in ihr Körbchen.
Am nächsten Morgen haben wir beide bis 11 geschlafen….
Der erste Tag war noch etwas schwierig, weil sie eigentlich schon wieder ganz gut laufen konnte (aber eben unter Schmerzmitteln) und nicht verstand, weshalb
sie nicht spazieren gehen durfte, nur kurz in den Garten, und auch das nur mit Leine. Leises Genöle.
Ab dem zweiten Tag hat sie das aber erstaunlich gut akzeptiert.
Das größte Problem, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte, war, dass sie sich zuerst strikt weigerte, sich im Garten zu lösen. Anscheinend wollte sie den eigenen Garten nicht
verschmutzen.
Ich bin alle 2 Stunden kurz mit ihr raus, um ihr die Chance zu geben, aber erst nach anderthalb Tagen, als es wirklich nicht mehr anders ging, machte sie dort ihren Haufen.
So etwa nach 5 Tagen hat sie verstanden, dass sie, wenn ich sie an der Leine an die Stelle führe, an der sie sich immer löst, das relativ zügig und nicht erst nach 3 Anläufen machen
darf. Das ist immerhin schon ganz praktisch für später.
Gestern waren wir zum ersten Mal wieder ein kleines Stück draußen spazieren, sie konnte ihr Glück kaum fassen und strahlte förmlich.
Nachmittags platzte sie dann dermaßen vor Freude, als ich nach der Leine griff, dass sie im wahrsten Sinne über Tische und Bänke ging - sie sprang aus dem Stand begeistert auf
die Gartenliege im Wintergarten (Holzlatten in 5 cm Abstand, nicht mal mein Kater ging da drauf!) und auf der anderen Seiten wieder runter, mir war schon wieder ganz schlecht …..
dieses Tier!!!
Da wusste sie auch noch nicht, dass wir den Spaziergang zum Tierarzt machten - in Rekordzeit, gute 10 Minuten. Jetzt kennt sie ihn also schon mal. Sie ließ alles brav und unaufgeregt über sich ergehen. Nur dass er ihre Zähne sehen wollte fand sie nicht gut. Jedenfalls fand er ihren Gesamtzustand sehr gut. Aufatmen.
Heute machen wir kleines Programm, es schüttet.
Sie schläft seit Stunden tief und fest und unerschütterlich - etwa 50 m weiter wird ein Fundament ausgehoben, das Gewummere der Maschinen spüre ich in den Füßen bis in den ersten Stock, aber sie
lässt sich davon nicht stören.
Ein Zen-Hund.
Ganz abgesehen von diesem Energieschub hat sie, finde ich, schon enorm viel gelernt. Sie hat nie mehr versucht, die Treppe hochzugehen, auf das Sofa zu springen, Essen zu klauen oder einen
Pantoffel zu entführen. Einzige Ausnahme: irgendwann musste sie besonders lange auf ihr Abendessen warten. Als mehrfaches besonders lautstarkes Schütteln nicht half, um meine Aufmerksamkeit zu
bekommen, schnappte sie sich meinen Gartenclog neben der Gartentür, schmiss ihn mit Schmackes auf den Boden und sah mich dann richtig aufmüpfig an (Ältere werden sich an die Szene erinnern,
wo Chruschtschow in der UNO mit dem Schuh aufs Pult hämmert…).
Ich musste so lachen, dass ich alle Aktivitäten abbrach und ihr erstmal was zu essen gab. Das hat sie nie wieder gemacht, aber ich achte jetzt auch sehr darauf, dass sie nicht mehr so lange
warten muss.
Hundebegegnungen sind eigentlich immer unproblematisch - entweder man ignoriert sich oder ist freundlich, sie hat schon einige ganz nette Bekanntschaften gemacht (mit ebenfalls sehr netten
Frauchen, mit denen ich mich dann austauschen kann). Menschenbegegnungen sind sehr sehr viel entspannter geworden, die allermeisten Menschen, die uns einfach so auf der Straße entgegenkommen
und mich nicht ansehen oder ansprechen werden inzwischen ignoriert. Sie bellt, wenn sie sich erschreckt (wenn zum Beispiel wie vorgestern Abend ein
Sie liebt nach wie vor ihre atemberaubenden Sprints durch den Garten, vor ein paar Tagen hat sie eine neue Version erfunden: sie kommt von ganz hinten angeschossen und stürzt sich dann im Sprung mit getreckten Vorderbeinen durch den Fliegenvorhang in den Wintergarten, wie ein Löwe durch den Feuerring. Sie kann ihren Schwung dann gerade noch vor der Küchentür abbremsen. Es kostet mich Nerven! Aber sie genießt es.
Ich habe Dani vor einiger Zeit zur Verdeutlichung ein Foto aus dem Garten geschickt, rechts blaue Keramikugel, links braune Flecken im Gras (man muss halt immer auf das schöne Moos vor dem Buddha pinkeln, gell?), Distanz dazwischen ungefähr 1,60 Meter, zurückgelegt im freien Flug, ebenfalls mit sauber getreckten Vorderbeinen. Ich komme mir dann so alt vor... Solche Stunts kann ich natürlich nicht fotografieren, dazu geht es einfach zu schnell, ich muss auf eure Vorstellungskraft vertrauen.
Auf dem Spaziergang macht sie manchmal aus purer Lust an der Bewegung einen Luftsprung nach oben und dann noch ein paar gestreckte Sprünge nach vorn, was mich auch fast zum Fliegen bringt und komischerweise an meinen Physikuntericht im letzten Jahrhundert denken lässt. Wie war das noch mit der Beschleunigung von träger Masse ???
Und sie hat dabei immer ein Gesicht als ob sie gleich juchzt.
Seit letzter Woche entdeckt sie plötzlich ihre vegetarische Seite, nachdem ich wochenlang versucht habe, ihr das schmackhaft zu machen: enthusiastisch Möhren abgebissen und vorgekaut, mit
dramatischer Lautuntermalung (hmmmm, sooo gut). Sie guckte mich dann nur mit einer Mischung aus Empörung und Mitleid an, dass ich sowas essen muss und es auch noch wage, es einer stolzen
Fleichfresserin anzubieten, nahm die angebotene Möhrenscheibe kurz ins Maul und spuckte sie sofort wieder aus, bäh. Ich hatte ihr auch, weil sie so leidenschaftlich gern Gras
frisst, als vitaminreichere Variante
Vor ein paar Tagen kamen wir auf unserem Mittagsspaziergang an der Straßenbahnhaltestelle vorbei.
Es war Schulschluss und auf der Bank klüngelten diverse Jugendliche rum. Unter anderem zwei Halbwüchsige, der Typ der sich vor der Klasse gern als Rabauke und Macho aufspielt. Cool um jeden
Preis.
Milla mag Jungs in dieser Altersklasse ganz offenbar, ging freundlich auf die beiden zu und und schnüffelte an ihren Händen, wie sie das gerne macht.
Sie zogen ihre Hände nicht weg, sondern fingen an, ganz vorsichtig und liebevoll Millas Kopf zu streicheln, und sie ließ es sich gern gefallen. Man konnte zusehen, wie ihre Gesichter ganz
weich wurden. Für einen kurzen Moment waren sie alle drei wie in einer Blase, in der die Welt um sie herum ganz weit weg war und es nur diese weiche Hundeschnauze und vier streichelnde Hände
gab.
Ich fragte den einen, ob er vorher irgend etwas Leckeres in den Händen gehabt hätte, Wurst oder so? Nee, hätte er nicht.
Na schau, sagte ich, dann mag sie dich einfach.
Große ungläubige Augen. Ehrlich, meinst du??
Ich nickte, na klar.
Wir gingen weiter, die beiden sahen uns nach und hatten immer noch dieses glückliche Lächeln im Gesicht. So schön.
Vielleicht werden sie sich irgendwann, wenn sie es brauchen, an diesen kleinen Moment der Zärtlichkeit erinnern.
Schnee ist was Tolles, wenn man einen vollen Bauch und ein warmes Zuhause hat…
Trotzdem muss man aber noch heruntergefallene Haselnüsse unter dem Schnee erschnuppern, ausbuddeln und versuchen, sie zu knacken. Wenn man nicht dauernd dran gehindert würde...
Da Milla nicht so besonders gerne Auto fährt und sie mittelfristig irgendwann für ihre Hüftoperation eine längere Autofahrt machen muss, beginnen wir jetzt mit Boxen- und Enstapnnungstraining.
Vorgestern ist ihre neue Faltbox gekommen - sie hat schon das Auspacken und Zusammenstecken mit Argusaugen überwacht, als ob sie genau wüßte, dass das für sie ist.
Ich hab die Box eine Nacht einfach geschlossen stehen lassen, damit sie sie schon mal sieht und beschnuppern kann (was sie auch ausführlich getan hat).
Gestern nachmittag hab ich dann zwei Öffnungen aufgemacht und ein paar Leckerli reingelegt - es dauerte ungefähr 2 Sekunden, bis sie drin war und sie begeistert einsammelte.
Sie ging dann immer mal wieder nachschauen, ob da nochmal was nachkommt, veranstaltete ein Probeliegen - und abends hat sie ein paar Stunden drin geschlafen… heute nachmittag auch.
Es ist nicht zu fassen, wie die Zeit rast.
Letztes Jahr um diese Zeit habe ich mich auf den ziemlich weiten Weg ins Emsland gemacht, um dabei zu sein, als Milla ihren wichtigen Termin beim Spezialisten hatte.
Ich wusste, wie schlimm ihre Hüften aussahen, aber ich wusste auch, dass ich sie trotzdem adoptieren würde.
Ich hatte ihr in die Augen gesehen und ihr versprochen, dass ich ihr ein Zuhause geben würde, und dieses Versprechen galt, für gute und für schlechte Tage.
Aber es war noch nicht klar, wie es konkret weitergehen würde - Operation ja/nein, sofort/später, welche Prognose.
Das Urteil war erstmal gnädiger als befürchtet:
Operation auf keinen Fall sofort, erst die Voraussetzungen schaffen, Vertrauen aufbauen, sie sich in einem neuen Zuhause eingewöhnen lassen, regelmäßige Bewegung zum Muskelaufbau, dann erst weitersehen.
Ich könnte sie also sofort mitnehmen, um dabei keine Zeit zu verlieren.
Damit hatte ich gar nicht gerechnet, war überhaupt nicht vorbereitet - aber ich wischte ganz gegen meine Gewohnheit alle berechtigten vernünftigen Einwände einfach weg und nahm sie nach dem Tierarztbesuch gleich mit.
Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, dass alles gutgehen würde. Von Anfang an war da ein ganz großes gegenseitiges Vertrauen.
Sie folgte mir, als ob wir uns schon jahrelang kennen würden, trabte ganz selbstverständlich und ohne Scheu mit in mein Hotelzimmer, machte es sich genauso selbstverständlich auf einer Decke vor meinem Bett bequem, schlief die ganze Nacht tief und fest, ging am nächsten morgen mit mir spazieren, um ihre Geschäfte zu erledigen, als ob es nie anders gewesen wäre.
Für mich war es genauso selbstverständlich, ich habe nicht eine Sekunde lang gedacht, sie könnte mich in eine schwierige Situation bringen.
Und dieses Vertrauen hat sie nie enttäuscht.
So ist sie also vor einem Jahr etwas überstürzt bei mir eingezogen. Es war von Anfang an so, als ob sie schon immer da gewesen wäre. Eigentlich mussten wir uns gar nicht groß aneinander gewöhnen. Es war alles ganz selbstverständlich, unaufgeregt, ganz sanft und geräuschlos (naja, zwischen UNS ist das so, in Bezug auf Katzen und Füchse - und manche Besucher - ist sie alles andere als geräuschlos).
Sie hat in diesem ganzen Jahr nie die allerkleinste Aggression gezeigt, hat nie etwas kaputt gemacht (abgesehen von der Hängepflanze, die sie nackt gewedelt hat…), hat nie einen Konflikt provoziert.
Sie kann schon mal einen Dickkopf haben, aber das darf sie auch. Und oft ist sie am Ende dann trotzdem kooperativ.
Sie ist unendlich lieb, geduldig und anspruchslos, bettelt nicht, drängelt nicht, meckert nicht.
Das habe ich ihr nicht anerzogen, sie ist einfach so.
Sie sieht mich nur an (und das reicht meistens auch…) und bringt sich diskret in Position, wenn sie etwas möchte.
Wenn sie es nicht bekommt, geht sie ganz still wieder auf ihre Decke und wartet auf eine neue Chance.
Manchmal denke ich, das ist fast überirdisch.
Wenn ich irgendetwas für sie tue, wie Fell bürsten oder Pfoten nachschauen, dann kriegt sie sich vor lauter Wedeln und Händelecken kaum noch ein.
Wie sehr muss ihr das gefehlt haben….
Die Operation hängt noch über uns wie ein Damoklesschwert, und machmal macht mir das Sorgen, aber meistens vergesse ich es einfach und freue mich jeden Tag, dass sie da ist.
Es geht ihr im Moment ganz gut, wir genießen unser gemeinsames Leben. Wir haben uns gefunden.
Ich bin sehr sehr dankbar, dass ihr mir dieses wunderbare Tier anvertraut habt.
Und ich wünsche mir so sehr, dass auch die anderen Hunde, die auch schon so lange warten, ihren Menschen finden, der ihnen ein Zuhause gibt und den sie dafür glücklich machen werden.